Kniffliger Brückenbau

Seit über zwei Jahren streiten sich die EU und das Vereinigte Königreich (UK) über die Anbindung der Briten an das europäische Forschungsrahmenprogramm, Horizon Europe. Beide Seiten beschuldigen sich, Verträge im Zusammenhang mit dem Brexit nicht einzuhalten: Die EU fordert vom UK die Umsetzung des sogenannten Nordirland-Protokolls, das wiederum ein Teil eines größeren Handels- und Kooperationsabkommens ist. Und dessen restliche Einhaltung fordert wiederum das UK. Bisher bewegt sich… nichts. Für die Wissenschaftler*innen, die an einer britischen Uni forschen, heißt das: Was sie an Horizon-Europe-Geldern eingeworben haben, ist erst einmal verloren. Da das Vereinigte Königreich nicht mehr an das Rahmenprogramm angebunden ist, hat die EU konsequenterweise die Zuwendung für 115 ERC Grantees zurückgezogen. Für die Wissenschaft ist das bitter.

Als ich mich mit dieser Materie beschäftigte, erinnerte mich das alles frappierend an eine ähnliche Situation vor acht Jahren: Damals war es die Schweiz, die es sich mit der EU verdarb – zumindest vorübergehend. Denn irgendwie schafften es die Schweizer, ihre Wissenschaft relativ schnell und geräuschlos wieder an die EU anzubinden. Ihre viel gerühmten diplomatischen Künste waren offenbar keine Übertreibung.

Was war geschehen?

Im Februar 2014 beschloss die Schweiz in einer nationalen Abstimmung verschärfte Regeln für die Zuwanderung von Ausländern. Da ich selbst ja einige Jahre in Basel gearbeitet habe, überraschte mich das nicht: Rechtskonservative Parteien waren schon länger relativ stark gewesen. Als ich 2007 in der Schweiz ankam, lief zum Beispiel gerade eine Kampagne der SVP gegen „kriminelle Ausländer“. In der Zeitung konnte man damals solche Anzeigen entdecken:

In unserem Institut nahmen wir das damals relativ entspannt, denn erstens waren wir als forschende Akademiker natürlich von jeglichem Verdacht erhaben, „kriminelle Ausländer“ zu sein. Zweitens, und das möchte ich wirklich betonen, ticken die Basler noch einmal ein ganzes Stück liberaler. Man lebt im Dreiländereck, also wimmelt es von Deutschen und Franzosen. Ich persönlich habe mich dort immer willkommen gefühlt.

Zurück zu besagter Volksabstimmung von 2014, die mit hauchdünner Mehrheit angenommen wurde – sie warf ein Problem auf: Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer in Europa wurde dadurch eingeschränkt. Die Schweiz war aber über die so genannten „Bilateralen Verträge I“ eng an den europäischen Arbeitsmarkt angebunden worden und hatte sich unter anderem zu Arbeitnehmerfreizügigkeit verpflichtet. Dieses Abkommen war jetzt hinfällig.

Aber die EU war vorsichtig gewesen. Um ein politisches Rosinenpicken zu verhindern, hatte man einige Jahre zuvor sieben Verträge parallel ausgehandelt, die verschiedene Dinge regelten und unterm Strich für beide Seiten fair waren: Handelsabkommen, Zugang zum Schweizer Arbeitsmarkt, wissenschaftliche Anbindung und Ähnliches. Der Kniff daran war: Genau wie beim britischen Handels- und Kooperationsabkommen war all dies nur im Paket gültig. Jeder der sieben Verträge war mit einer sog. „Guillotine-Klausel“ ausgestattet – ja, die hieß wirklich so und besagte im Kern: Die Schweiz bekam nur das Gesamtpaket. Oder eben gar nichts davon.

Die Guillotine fiel also, die EU setzte alle sieben Verträge aus, und die Schweiz verlor ihren Status als „assoziiertes Land“ im Forschungsrahmenprogramm (damals noch Horizon 2020). Bewerbungen aus der Schweiz waren plötzlich nicht möglich, was vor allem bei prestigeträchtigen Förderungen wie dem ERC schmerzhaft war.

Damals traten zahlreiche Forscher auf die öffentliche Bühne und forderten, die Wissenschaft nicht zum Spielball von politischen Hakeleien zu machen. Diese Kampagne war tatsächlich erfolgreich: Zum Wohle der Wissenschaft gab die EU letztendlich ihr Druckmittel auf, und man einigte sich auf ein bilaterales Abkommen für eine Teilassoziierung der Schweiz an Horizon2020. Ich ärgerte mich damals, weil dieser Schritt zwar gut gemeint, aber ein Rückschlag für die europäischen Werte war. Und noch eine Sache war bemerkenswert: Die „Teilassoziierung“ galt nur für den prestigeträchtigsten Teil des Programms, nämlich ERC Grants und Marie-Sklodowska-Curie-Fellowships. Das neue, bilaterale Abkommen war sozusagen die offizielle Lizenz zum Rosinenpicken.

Weshalb gelingt dasselbe Kunststück heute nicht dem Vereinigten Königreich?
Es kann zumindest nicht daran liegen, dass die Wissenschaft zu leise ist oder sich zu wenig zu Wort meldet. Die HRK hat zum Beispiel schon zu Beginn der Querelen eine politische Lösung für die Anbindung der Briten gefordert. Im Vergleich zu anderen Themengebieten ist die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit allerdings nicht aufsehenerregend genug.

Profitieren die anderen europäischen Länder denn, wenn die britischen Unis aus Horizon Europe aussteigen? Im Sinne von: Wir haben weniger Konkurrenz, und dadurch bleibt mehr Geld für uns übrig? Auch das kann man klar ausschließen, denn das UK geht dem Programm auch als Einzahler verloren, nicht nur als Nutznießer. Unterm Strich und langfristig gleichen sich die Zahlungen also mehr oder weniger aus.

Was auch immer die britische Regierung seit dem Brexit falsch gemacht hat, es scheint also an klassischem diplomatischem Geschick zu hängen. Vielleicht hatte sie im Vergleich zur Schweiz auch einfach eine schwierige Ausgangslage: Als ich versucht habe, das Nordirland-Protokoll und seine Hintergründe zu verstehen, musste ich Dinge nachlesen wie das Karfreitagsabkommen von 1998. Lauter Themen, die mit Wissenschaft wirklich nicht mehr viel zu tun haben. So viel historischer Ballast macht vermutlich jede Verhandlung kompliziert und sperrig.

Ob die Assoziierung an Horizon Europe noch gelingt, wird jetzt wohl davon abhängen, ob das Vereinigte Königreich sich in Sachen Diplomatie noch etwas von der Schweiz abgucken kann. Und ob es seine eigenen politischen Turbulenzen in den Griff bekommt. Es wartet eine schwierige Aufgabe auf Boris Johnson

Liz Truss

Rishi Sunak.

Mit einem besonderen Dank an Jens Jäger vom Helmholtz-Büro Brüssel, für erhellende Hintergrundinformationen und seine fachliche Einschätzung.

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