Das Entfristungs-Problem – erklärt in 10 Grafiken

Gerade hat das BMBF die Evaluation des WissZeitVG veröffentlicht, auch Jan-Martin Wiarda hat den Bericht ausführlich analysiert. Wenig überraschend, kommt die Studie zu dem Schluss: Das Problem der Kettenbefristungen hält an.

Gleichzeitig treffe ich immer wieder auf Leute, meist Nachwuchswissenschaftler, die mich ganz offen fragen: Wo ist eigentlich der Haken? Warum kann mich mein Prof, meine Uni nicht einfach entfristen? Geld ist doch irgendwie immer da.

Die Antworten auf solche Fragen enthalten meistens lauter Paragraphen und Fachtermini aus der Haushaltsführung, was zwar korrekt ist, aber nicht unbedingt verständlich. Hier kommt deshalb ein Versuch, das Entfristung-Dilemma der Hochschulen einmal in Grafiken aufzuzeigen.

Frage 1: Warum entfristet eine Hochschule nicht alle Mitarbeiter/innen auf Haushaltsstellen?

Kurz gesagt: um flexibel zu bleiben. Man könnte auch sagen: Um nicht in eine Situation zu geraten, in der der gesamte Etat schon am Anfang des Jahres festgelegt ist. Wenn man sich den Haushalt einer Hochschule anschaut, sieht das grob gesehen so aus:

Drittmittel sind hier erst einmal aus der Betrachtung herausgelassen. Dazu gleich ein paar Disclaimer, für alle, die sich detaillierter auskennen:

  • So sieht natürlich nicht der Haushaltsplan einer Uni aus. Es ist eine rein illustrierende Sichtweise, um vor allem die Bedeutung der ungebundenen Mittel sichtbar zu machen. Außerdem sind einige Sonderposten weggelassen und einige Begriffe vereinfacht.
  • Der „Sockel“ ist eine Mischung aus verschiedenen Posten, die hier nur eine Gemeinsamkeit haben: Sie sind unverzichtbar und bieten praktisch keine Flexibilität.
  • Die Größenverhältnisse der Balken können sich von Uni zu Uni natürlich stark unterscheiden. Wichtig sind die grundsätzlichen Relationen, z.B. dass Personalausgaben etwa zwei Drittel des Haushalts ausmachen.

Der Sockel und die Arbeitsverträge haben jedenfalls eins gemeinsam: Diese Kosten sind nicht nur fest eingeplant, sondern tatsächlich auch vertraglich fixiert (im Fachjargon „gebunden“). Egal, was also passiert: Die Uni muss für diese Kosten aufkommen.

Wenn Arbeitsverträge entfristet werden, steigen zwar zunächst nicht die Ausgaben, aber die Flexibilität der Uni sinkt:

Falls einmal ein finanzieller Engpass kommt, kann man die befristeten Verträge zur Not auslaufen lassen und hat so wieder freies Geld. Mit unbefristeten Stellen geht das nicht. Aber was genau ist dabei die Sorge der Hochschulleitungen? Sind finanzielle Engpässe wirklich realistisch? Ja, sind sie. Und zwar immer dann, wenn die Kosten für den Sockel oder die Tarifverträge besonders steigen:

Inflation, steigende Energiekosten, hohe Tarifsteigerungen: Das alles sind echte Risiken. Die ungebundenen Mittel sind in der Grafik oben daher stark geschrumpft. Aus einer Management-Sicht kann das ein echtes Problem werden, weil man viel weniger Spielräume hat, um auf Unvorhergesehenes zu reagieren. Ein Wasserschaden in der Bibliothek zum Beispiel. Oder die Sperrung eines Gebäudes wegen Asbest-Funden.

Übrigens braucht nicht nur die Verwaltung diesen Spielraum: Ich habe auch etliche Male erlebt, dass Wissenschaftler/innen händeringend beim Kanzler um kurzfristige Zusagen warben: Die Sanierung eines Reinraums, ohne den ein Konsortium nicht funktionieren konnte. Die Schaffung einer W2-Professur für einen SFB. Die Anschaffung eines Massenspektrometers. Alles Dinge, die die Wissenschaft (!) brauchte. Deshalb haben ungebundene Mittel eine so hohe strategische Bedeutung.

Frage 2: Warum heißt es immer, Entfristungen gingen auf Kosten zukünftiger Generationen?

Betrachten wir dazu die Haushaltsstellen für wissenschaftliches Personal (wieder ohne Drittmittel). Die verfügbaren Stellen sind hier mit verschiedenen Personen besetzt:

Wenn man über das aktuelle Jahr hinausschaut, verändert sich die Stellenbesetzung nach einem typischen Muster:

Auf befristeten Stellen ist viel Bewegung, weil die Vertragslaufzeiten kurz gewählt sind – wie wir gerade gelernt haben, im Schnitt unter zwei Jahren. Konsequenz: Entweder dieselbe Person wird in Serie immer wieder befristet beschäftigt, oder es werden regelmäßig wechselnde Personen für kurze Zeit angestellt. Ein soziales Desaster, egal wie man es dreht und wendet.

Auf unbefristeten Stellen wiederum gibt es eher wenig Bewegung, denn die Arbeitnehmer haben – verständlicherweise – kaum Gründe, einen solchen Vertrag aufzugeben: Die Wissenschaft ist ein extrem spannendes Arbeitsfeld, man hat viel Gestaltungsfreiheit, und die Vergütung stimmt. Entfristungen führen also dazu, dass das wissenschaftliche Personal an der Hochschule über die Zeit relativ konstant bleibt:

Die Uni wiederum kann entfristete Verträge in der Praxis nicht kündigen. Im TV-L oder TV-öD ist das schlichtweg unrealistisch, schon gar nicht mit der Begründung, dass man jemand anderem nun eine Chance geben möchte, sich als Wissenschaftler/in zu beweisen. Daher gilt: Jemanden zu entfristen, ist eine Entscheidung auf Dauer. Ist eine solche Stelle einmal besetzt, dauert es viele Jahre, bis sie wieder frei wird.

Hinzu kommt noch ein Argument, das von den Hochschulleitungen mal mehr, mal weniger direkt geäußert wird: Wer als Wissenschaftler/in auf einer Dauerstelle arbeitet, ist weniger Wettbewerb ausgesetzt. Ohne diesen Druck, so die These, nimmt der Ideenreichtum und die Leistungsfähigkeit ab. Dieses Argument hat viele Wissenschaftler/innen sehr verletzt, deshalb möchte ich es hier nur kurz erwähnen – es ist ohnehin eine qualitative Aussage, die sich grafisch nicht gut illustrieren lässt. In der Theorie kann ich die Argumentation nachvollziehen, aber ob sie in der Praxis stimmt, will ich nicht beurteilen.

Frage 3: Mein Chef / Meine Chefin hat immer genügend Drittmittel. Warum entfristet er/sie mich nicht einfach?

So, jetzt kommen wir endlich zu den Drittmitteln – aus ihnen wird bekanntermaßen der Großteil der befristeten Stellen finanziert. Die verfügbaren Gelder einer Professur schwanken von Jahr zu Jahr, je nachdem, welche Projekte bewilligt werden:

Aus diesen Mitteln können nun Stellen finanziert werden, und zwar in dem Umfang, wie es die Finanzen zulassen:

Leider lässt sich dabei nicht so weit in die Zukunft schauen, wie es die Grafik suggeriert: Wer Ende 2022 die Bewilligung für ein 3-Jahres-Projekt erhält, hat lediglich Planungssicherheit für 2023, 24 und 25. Und natürlich auch nur für dieses eine Projekt.

Was passiert nun, wenn man in diesem Szenario einige Mitarbeiter/innen entfristet? Sie haben dann dauerhafte Arbeitsverträge, d.h. egal was passiert, sie behalten ihren Job, und die Universität muss ihnen ihr Gehalt auszahlen. Aber die Drittmittel-Götter sind wankelmütig! Hier im Beispiel gibt es ein vorübergehendes Tief im Jahr 2025. Und das führt zu einem handfesten Problem – es ist schlichtweg nicht genügend Geld da, um die Wissenschaftler/innen zu bezahlen:

Und es kommt noch ein Problem hinzu: Wenn man Drittmittel einwirbt, fließen die nicht in einen gemeinsamen Topf, aus dem man dann Personal- und Sachmittel finanzieren kann. (Schön wär’s.) In der Realität besteht die jährlich verfügbare Drittmittel-Summe aus einem irrsinnigen Stückwerk kleiner und großer Projekte, jeweils unterteilt in verschiedene Kostenarten, und jeweils mit detaillierten Berichtspflichten versehen. Ein administrativer Alptraum:

Egal, was das WissZeitVG fordert oder vorschreibt: Aus so einem Puzzle heraus einigermaßen Kontinuität für die eigenen Mitarbeiter/innen herzustellen, ist eine fast unlösbare Aufgabe. Schon allein aus diesem Grund muss einfach immer wieder betont werden: Das Problem der Kettenbefristungen liegt vor allem darin, dass überhaupt so viele Gelder als Drittmittel vergeben werden. Eine Lösung kommt erst dann in Sicht, wenn die Grundfinanzierung der Hochschulen steigt.

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