Mehr Einsicht, bitte

Wenn es um saubere Aktenführung geht, denken wir in der Verwaltung meistens an die Rechnungsprüfer. Oder an die graue Eminenz, den Rechnungshof. Oder an schmerzvolle Audits von Drittmittelgebern. Was aber kaum beachtet wird, ist: Jede Normalbürgerin, jeder Normalbürger darf Einblick in unsere Akten erhalten.

Gut, der letzte Satz hatte möglicherweise ein gewisses Potenzial, Panik zu stiften, daher hier gleich eine Relativierung:

Als wissenschaftliche Institutionen müssen wir Einsicht in unsere Unterlagen gewähren, sofern wir unter ein Informationsfreiheitsgesetz fallen. Sofern es eine konkrete Anfrage mit berechtigtem öffentlichen Interesse gibt. Und unter Abwägung anderer wichtiger Dinge wie dem Schutz persönlicher Daten. Dann und nur dann müssen wir Einsicht in unsere Unterlagen geben.

Hintergrund ist, dass der Staat keine Geheimnisse vor den Bürger*innen haben soll, die seine Organe wählen und ihn durch Steuern finanzieren. Das macht durchaus Sinn, aber das sogenannte Amtsgeheimnis wurde tatsächlich erst im Jahr 2006 abgeschafft. Seitdem gibt es das „Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes“. Es wird meist Informationsfreiheitsgesetz (IFG) genannt und legt – vereinfacht gesagt – fest, dass die öffentliche Verwaltung amtliche Informationen auf Nachfrage offenlegen muss. Jetzt kommt natürlich die Kernfrage für alle, die im Wissenschaftsmanagement arbeiten: Gilt das auch für uns? Müssen wir gläserne Akten führen??

Die Antwort ist ein glasklares: „Jein“. Erstaunlicherweise geht durch die Wissenschaftslandschaft eine schwammige Zickzack-Grenze, welche Institutionen unter die Informationsfreiheit fallen und welche nicht. Das hat zwei Gründe:

  • Erstens: Es gibt nicht ein einziges solches Gesetz, sondern ein IFG auf Bundesebene und dreizehn verschiedene auf Ebene der Bundesländer (die Initiative FragDenStaat hat eine sehr gute Übersicht dazu aufbereitet). Der Föderalismus sorgt hier für den üblichen Flickenteppich: Grundsätzlich sind zwar staatliche Hochschulen mit eingeschlossen, weil sie nachgeordnete Behörden sind. Manche Bundesländer nehmen allerdings die Hochschulen explizit aus der Regelung heraus, in Hamburg ist speziell die Forschung, aber nicht die Lehre ausgenommen, usw… Einzelne Länder wie Bayern haben wiederum gar kein solches Gesetz. (Aus irgendeinem Grund überrascht mich das bei Bayern nicht. Sie auch nicht?)
  • Zweiter Grund: Die außeruniversitäre Forschung ist ein Graubereich, da diese Institutionen keine Behörden sind. Mehr dazu weiter unten.
  • Dritter Grund: Mischfinanzierungen machen das Ganze noch komplizierter. Leibniz-Institute zum Beispiel werden fifty-fifty von Bund und Ländern finanziert. Wir als DZHK wiederum sind zwar ein privatrechtlicher Verein, aber die Finanzierung unserer Forschung läuft über BMBF-Projekte. Und Institutionen wie das DLR oder das Forschungszentrum Jülich fungieren auch als Projektträger, so dass zumindest dieser Unternehmensteil jeweils öffentlich-rechtliche Aufgaben übernimmt.

Und was heißt das nun in der Praxis? Gibt es überhaupt eine Praxis, mit echten Anfragen aus der Bevölkerung oder Presse? Ja, die gibt es.

Das Portal FragDenStaat, über das laut eigenen Angaben mehr als die Hälfte der bundesweiten IFG-Anfragen läuft, listet aktuell unter dem Filter „Forschung“ insgesamt 2.754 Anfragen auf. Etwa die Hälfte davon war am Ende erfolgreich oder teilweise erfolgreich, d.h. die Fragenden bekamen tatsächlich die Information, die sie wollten. Jeder, den es interessiert, kann die Antworten dort nachlesen.

Und welche großen Fragen bewegen nun die Nation? Was ist den Menschen so wichtig, dass sie sich die Zeit nehmen, um eine Anfrage an die öffentliche Verwaltung zu formulieren? Zusammenfassend kann man sagen: Sie interessieren sich für ein Sammelsurium an Themen – und eher für Kleinteiliges.

Die einen fragen nach einer „tabellarische Übersicht der in den Mensen am Standort Stuttgart in den Kalenderwochen 27/2022 und 28/2022 eingesetzten tierischen Produkte“. Mit Angaben zu Lieferanten, Bio-Kennzeichnung und Herkunftsland.

Andere fragen nach der „ECTS Einstufungstabelle der RWTH Aachen für den Studiengang Energietechnik M.Sc. der Jahre 2019-2022“. Es bleibt zu hoffen, dass hinter dieser Anfrage mehr steckt als nur der Versuch eines Studierenden, seine ECTS-Punkte aufzubessern.

Trotzdem: Es wird auch immer wieder nach den großen und kontroversen Themen gefragt. Zum Beispiel nach aufgestellten Überwachungskameras an der Hochschule Bremen. Nach bewilligten Fördermitteln für die Nationale Forschungsdateninfrastruktur. Oder nach Kooperationen der WWU Münster mit chinesischen Universitäten. Auch wenn Demokratie nervig und teilweise kleinteilig sein kann, ist sie hier eindeutig am Werk, und zwar in Reinform.

Interessant wird es außerdem dann, wenn Anfragen abgelehnt werden. Im Sektor Forschung sind das bisher über 300 Fälle (wobei man auch hier über einige bizarre Titel wie „Sport Altklausuren 2012-2018“ hinweglesen muss…).

Manche Anfragen, beispielsweise die Einsicht in Personalakten, werden abgelehnt, weil sie Persönlichkeitsrechte verletzen würden. Manche Hochschulen verweisen auf das jeweilige Landes-IFG, das sie nicht zur Auskunft verpflichtet. Und was bemerkenswert ist: Die Außeruniversitären Forschungseinrichtungen (Fraunhofer, Max-Planck, Helmholtz und Leibniz) lehnen Anfragen grundsätzlich ab. Egal, ob es um Hochwasserrisiken, die Planung des CyberValley oder den Reaktor Wendelstein 7-X geht – die Antwort lautet immer sinngemäß: Dieses Gesetz ist auf uns nicht anwendbar. Durch ihre privatrechtliche Organisation fallen sie nicht unter §1 des IFG:

Für sonstige Bundesorgane und -einrichtungen gilt dieses Gesetz, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen.“

Juristisch ist es sicherlich korrekt, dass die Wissenschaft an den AUFE keine öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgabe ist; in diese Frage will ich mich nicht einmischen. Aber in der Konsequenz heißt das: Der Steuerzahler finanziert Forschung in Höhe eines zweistelligen Milliardenbetrags und hat dennoch nur eingeschränkte Möglichkeiten, Einblick in Verwaltung und Management dieser Forschung zu nehmen.

Ich wähle für dieses Problem aber ganz bewusst keine reißerische Formulierung. Das wäre auch nicht fair, denn als intransparent kann man die außeruniversitäre Wissenschaft keineswegs bezeichnen: Jede Institution veröffentlicht finanzielle Jahresberichte. Im Monitoring-Bericht zum Pakt für Forschung und Innovation kann man viele Statistiken und Einzelbeispiele aller Organisationen nachlesen. Die Pressestellen kümmern sich um journalistische Nachfragen. Und eine sehr aktive Wissenschaftskommunikation lässt kaum Wünsche offen, was die Vermittlung der Forschungsinhalte angeht. In Sachen Transparenz stehen die Außeruniversitären den Hochschulen in nichts nach.

Worum es mir stattdessen geht, ist die Frage der Governance. Allein das Bewusstsein, dass die eigene Arbeit grundsätzlich nicht geheim ist, lässt Menschen anders agieren – sorgfältiger, fairer, weniger willkürlich. Anfragen nach dem Informationsfreiheitsgesetz haben auch einen anderen Charakter und dienen einem anderen demokratischen Zweck als journalistische Recherchen. Sie sind zwar teilweise wirr und naiv, aber fast immer im Kern legitim. (Ein bisschen ähneln sie den Kleinen Anfragen aus dem Bundestag, merke ich gerade – sie sind nur kürzer und unsauberer formuliert.) Diese Form der Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit ist sicher nervig und zeitraubend, aber sie hat in der Demokratie ihre Berechtigung.

Respekt zollen möchte ich an dieser Stelle übrigens der DFG. Sie antwortet auf IFG-Anfragen zwar immer zunächst mit derselben Einleitung wie die Forschungsorganisationen („Das Gesetz ist auf uns nicht anwendbar“). Aber dann kommt in manchen Fällen ein bemerkenswerter Satz:

„Hiervon unbenommen, antworten wir Ihnen gerne wie folgt…“

Das Informationsfreiheitsgesetz verpflichtet die DFG zwar nicht dazu, aber erlaubt ist eine Antwort trotzdem! Diese Grundhaltung würde ich mir im gesamten öffentlichen Forschungssektor wünschen. Die seltsame Zickzack-Linie, was „amtliche Informationen“ sind und was nicht, wird sicherlich bestehen bleiben – aber aus Steuergeldern sind wir letztendlich alle finanziert. Glücklicherweise ist in Sachen Transparenz und Rechenschaft schon seit 2006 ein stetiger Kulturwandel im Gange, der sich hoffentlich weiter fortsetzt. Und auch die Kleinen Anfragen aus dem Bundestag haben uns schließlich nicht umgebracht.

Zuletzt noch ein besonderes Beispiel, das zeigt, wie wichtig Anfragen aus der Bevölkerung sind. Ein gut informierter Bürger wandte sich im April 2022 an das BMBF, mit der Bitte um Nennung der Fördersumme…

„… für die Abschätzung des Risikos ultrakalter Quantencomputer, die bekanntermaßen nicht binär arbeiten und zerstörerische ENTROPIE des Simulators / Kosmos / Universums / Weltalls global aktivieren können.“

Und so ein gravierendes Problem darf ein Ministerium natürlich niemals ignorieren.

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