Vor kurzem hat es also die Büros der großen NGOs getroffen. In einem wenig überraschenden Schritt hat die russische Staatsführung am 8. April entschieden, den Auslandsbüros von Amnesty International und Human Rights Watch die Rechtsgrundlage für ihre Arbeit zu entziehen. Da die beiden Organisationen im Sektor Menschenrechte arbeiten, war das – auf eine traurige Art – auch irgendwie konsequent. Parteinahe Stiftungen sowie der Think Tank Carnegie Center waren ebenfalls von der Schließung betroffen.
Einen Schritt weiter gedacht, stellt sich dadurch jetzt dieselbe Frage für die Wissenschaftsorganisationen: Was passiert mit den russischen Verbindungsbüros?
Die Freie Universität Berlin hat beispielsweise im Zuge ihres Exzellenzkonzepts „International Network University“ seit 2007 etliche Außenstellen gegründet – unter anderem in Ägypten, Russland und Indien -, um die Verbindungen in ausgewählte Partnerländer zu stärken. Das Verbindungsbüro in Moskau hat sich zuletzt vor allem darauf konzentriert, die FU Berlin für russische Studenten und Doktoranden attraktiv zu machen. Nur: Welchen Zweck hat ein solches Verbindungsbüro jetzt noch, da auf absehbare Zeit die Beziehungen beider Länder eingefroren sind? Fürs erste hat die FU den Betrieb eingestellt.
Auch die Helmholtz-Gemeinschaft betreibt ein sehr aktives Büro in der russischen Hauptstadt. Bislang fanden dort immer die „Moskauer Wintergespräche“ statt – es ging um wissenschaftliche Kooperationen, aber auch um gemeinsam genutzte Großforschungsanlagen. Inzwischen ist man der Linie des BMBF gefolgt und hat die Zusammenarbeit mit Russland bis auf Weiteres eingestellt. In einer ähnlichen Situation befinden sich die DFG und das Deutsche Wirtschafts- und Innovationshaus (DWIH), die jeweils eine Dependance in Moskau betreiben. Das DFG-Büro wurde bereits von den Behörden geschlossen, mit der Begründung mangelhafter Tätigkeitsberichte. Auch hier dürfte unweigerlich die Frage aufkommen: Wie geht es weiter?
Schon allein von administrativer Seite ist der Betrieb eines Russland-Büros kompliziert geworden, denn seit Anfang März sind mehrere wichtige Banken vom Zahlungssystem SWIFT abgeschnitten. Wenn man jetzt ein Gehalt auf ein russisches Konto überweisen will, muss die Buchhaltung prüfen, ob das technisch überhaupt noch funktioniert. Oder andernfalls kreative Wege finden.
Aber Mitarbeiter vor Ort zu haben, wirft nicht nur administrative Fragen auf, sondern auch sehr menschliche: Gibt es neue Aufgaben, die das Team übernehmen kann, nachdem alle bilateralen Forschungsprojekte und Förderprogramme auf Eis gelegt wurden? Kann man es vertreten, Verträge von Ortskräften auslaufen zu lassen, wenn ihr Job de facto wegfällt? Und wie kann man den Angestellten einen sicheren Status geben, der sie zwar noch transparent als Mitarbeiter einer ausländischen Organisation ausweist, nicht aber der Gefahr aussetzt, ins Visier des Staates zu geraten?
Wie sehr die betroffenen Organisationen um ihre Position ringen, sieht man schon daran, was aktuell auf den Seiten der jeweiligen Russland-Büros kommuniziert wird: Die DFG informiert diplomatisch, dass aufgrund der „aktuellen politischen Situation“ die Kooperation mit russischen Einrichtungen ruht. Die Helmholtz-Gemeinschaft verurteilt ganz offen den russischen Angriffskrieg und spricht ihren Mitarbeitern vor Ort ihre Solidarität aus. Und die FU Berlin äußert sich (zumindest an dieser Stelle) gar nicht zur Ukraine.
Man muss sich auch eines klarmachen: Für die meisten Leute in den Auslandsbüros ist ihre Arbeit nicht nur irgendein Job, sondern sie sind mit Leidenschaft dabei. Manche kenne ich von früher – tolle, engagierte Kolleginnen und Kollegen. Sie haben jahrelange Aufbauarbeit vor Ort geleistet, Kontakte geknüpft und internationale Beziehungen wachsen lassen. Das Ergebnis dieser Anstrengungen fällt jetzt innerhalb weniger Wochen in sich zusammen. „Alles, woran wir so lange gearbeitet haben, ist jetzt weg“ schrieb mir jemand aus der Community. Wie innerlich zerrissen die Stimmung sein muss, sieht man auch an der Webseite des Moskauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung: Man findet dort zwar keine offene Verurteilung der russischen Invasion, dafür auf der Startseite ein Adenauer-Zitat gegen Krieg und Terror. Blättert man jedoch weiter zur Presseschau, findet man auch einen Gastbeitrag für die Moskauer Deutsche Zeitung, mit einem bemerkenswerten Titel: „Russland gehört zu Europa“. Der Artikel erschien am 12. Januar – sechs Wochen vor dem Beginn des Ukraine-Kriegs, und drei Monate vor der Schließung des KAS-Büros.
Weil die weitere Entwicklung so schwer vorhersehbar ist, stellt sich auch die grundsätzliche Frage: Wartet man Putins nächsten politischen Schritt ab? Oder wird man selbst vorsorglich aktiv, schon allein um den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern lange Zeiten der Unsicherheit zu ersparen? Meine vorsichtige Prognose wäre: Selbst wenn die russische Regierung den Betrieb von wissenschaftlichen Auslandsbüros weiterhin zulässt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich die deutschen Forschungsinstitutionen über kurz oder lang zurückziehen.
Es gibt allerdings auch gute Gründe, zumindest vereinzelte Kanäle offenzuhalten: An mehreren großen internationalen Infrastrukturen (darunter der ITER und der XFEL) ist Russland mit beteiligt. Diese Großforschungseinrichtungen lassen sich nicht einfach auf Eis legen wie ein einzelnes Forschungsprojekt, und das macht es sicher noch eine Weile notwendig, dass man Expert/innen vor Ort hat. Verträge, Gremien und Zahlungsströme müssen möglicherweise neu geregelt werden (siehe hierzu auch DIE ZEIT 18/2022: „Der Schnitt“).
Mittelfristig wird sich also zeigen, ob die Wissenschaftsorganisationen, die unisono den Krieg in der Ukraine verurteilt haben, ihre Präsenz in Russland beenden. Es wäre ein nachvollziehbarer Schritt, aber auch ein äußerst schmerzvoller. Zumindest das DWIH äußert ein hoffnungsvolles Schlusswort: „Wir bleiben eine Austauschplattform für unsere Partner und ein Beratungszentrum für die deutsch-russische Wissenschaftszusammenarbeit.“ Wie diese Zusammenarbeit aussehen kann, darüber mag momentan wohl niemand eine Prognose anstellen.