Freiheit und Finanzen vor Frauen?

Neulich erschien das Leopoldina-Papier „Frauen in der Wissenschaft„, mit einer Bestandsaufnahme zur Gleichstellung und einer Reihe von Empfehlungen. Eigentlich eine gute Sache, aber ich bekam beim Lesen trotzdem schlechte Laune. Erst nach einer Weile wurde mir klar, was mich so ärgerte: Auch die Leopoldina-Stellungnahme wird nichts verändern. Sie bestätigt zwar die alte Erwartungshaltung, dass sich bei den Karrierechancen von Frauen mehr bewegen muss – aber wissenschaftliche Institutionen können sich bei dem Thema problemlos wegducken, ohne dass sie Konsequenzen fürchten müssen. Egal, ob es um die Zahlung gleicher Gehälter geht, um paritätische Besetzung von Gremien oder familienfreundliche Arbeitszeiten: Wer sich bewegen will, tut es jetzt schon. Und wer sich nicht bewegen will, kommt damit durch. Leopoldina hin oder her.

Zurückgefragt: Könnte die Politik denn stärker eingreifen? Könnte sie ihre Möglichkeiten ausspielen, um schnellere Veränderungen herbeizuführen? Ja, könnte sie. Denn jede Institution, jede Organisation hat politisch besetzte Gremien, die über sie Aufsicht führen:

  • Staatliche Hochschulen unterliegen der Aufsicht des jeweiligen Ministeriums bzw. Senats.
  • Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen haben einen Aufsichtsrat, dessen Mitglieder aus den Forschungsministerien von Bund und Ländern kommen.
  • Für wissenschaftliche Dach- oder Verbundorganisationen (Helmholtz, Leibniz, NUM, DZGs, usw…) gibt es in der Regel eine Bund-Länder-Kommission mit bestimmten Befugnissen.

Warum greifen diese Gremien also nicht stärker in die Gleichstellungspolitik der Wissenschaft ein? Weshalb nehmen sie ihre Aufsichtsfunktion so wenig wahr? Dafür gibt es nicht einen, sondern gleich mehrere Gründe:

Erstens: Die Tradition der Wissenschaftsfreiheit. Genauer gesagt, ist sie ja nicht nur eine Tradition; die Freiheit von Forschung und Lehre ist im Grundgesetz festgeschrieben. Aber die Haltung, dass die Wissenschaft sich am besten selbst steuert, durchdringt auch ganz andere Bereiche jenseits von Forschung und Lehre. Sobald daher Ministerien oder Bund-Länder-Gremien versuchen, stärkeren Einfluss auf die wissenschaftlichen Institutionen zu nehmen, stoßen sie auf erbitterten Widerstand – und kapitulieren am Ende häufig, weil das Schlagwort „Wissenschaftsfreiheit“ (unausgesprochen) über allem schwebt.

Der zweite Grund betrifft ganz konkret die Bund-Länder-Kommissionen (s.o.): Anders als die Aufsichtsräte, haben sie laut Satzung meist nur sehr begrenzte Befugnisse. Das hat stellenweise auch seine Berechtigung: Die Politik hat immer ein Interesse, nach der aktuellen Agenda zu steuern, und die ändert sich… na ja, sagen wir: nicht täglich, aber zumindest jedes Jahr. In einem so schnellen Takt lässt sich aber keine Forschungsorganisation umsteuern. Es hat schlichtweg keinen Sinn, die Wissenschaft im Jahr 2020 zu mehr Transfer zu verpflichten, 2021 zur Pandemiebekämpfung und 2022 zur Kooperation mit der Ukraine. Solche wechselnden Schwerpunkte enden entweder in einem wilden Verschieben von Geldern und Personen, oder sie bleiben auf oberflächliche Strategiepapiere beschränkt. Insofern sind die begrenzten Befugnisse dieser Kommissionen einerseits ein wichtiger Schutzschild für die Wissenschaft. Andererseits sind sie bei Dauer-Baustellen wie der Gleichstellung ein echtes Problem.

Dritter Grund: Die Zusammensetzung der Aufsichtsgremien führt eher zu einer abwartenden Haltung. Nehmen wir – wirklich nur zur Anschauung, als willkürlich gewähltes Beispiel – das Kuratorium des DIfE in Postdam. Darin sitzen aktuell:

  • eine Vertreterin des MWFK (Land Brandenburg)
  • eine Vertreterin des BMBF
  • ein Vertreter des BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft)
  • … sowie drei Mitglieder von Universitäten und Uniklinika.

Hier sind also schon drei verschiedene Ministerien vertreten. Bei komplexeren Einrichtungen wie dem Hamburger DESY sind es durchaus auch mal sieben.

Im Idealfall würden sich diese politischen Vertreter*innen vor einer Sitzung gut abstimmen. Sie würden bestimmte Tagesordnungspunkte auf die Agenda setzen lassen, sich vorher Kennzahlen des Instituts schicken lassen, Schwachstellen herausarbeiten und dann mit Fragen und Forderungen bewaffnet in die Sitzung gehen.

In der Realität dürfte das aber sehr aufwendig werden. Ministerien müssen sich immer einer enormen Fülle an parallelen Themen widmen, d.h. oft genug bleibt keine Zeit zur Abstimmung untereinander. Und sobald Ministerien untereinander nicht abgestimmt sind, werden sie vorsichtig: Man kennt die Haltung der anderen Landesregierung nicht genau. Man ist selber im Thema nicht so tief drin und will sich nicht blamieren. Man will nicht zum Ärger der anderen Teilnehmer die Agenda sprengen, usw… Dadurch herrscht die Haltung vor: „Ich lass das mal auf mich zukommen. Fragen ergeben sich ja bestimmt in der Sitzung.“

Auf diese Weise können Missstände unentdeckt bleiben. Zudem nutzen Aufsichtsgremien gerne zwei Instrumente, die es ihnen erlauben, sanften Druck auszuüben, ohne stark einzugreifen:

  • Sie überlassen die Einschätzung, ob Thema XY auf dem richtigen Weg ist, dem wissenschaftlichen Beirat der Forschungseinrichtung.
  • Sie verlangen die Vorlage einer Strategie. Jawoll!

Beides sind – mit Verlaub – eher zahnlose Instrumente. Denn der wissenschaftliche Beirat wird immer auf der Seite der Wissenschaftler*innen stehen und im Zweifelsfall sagen: „Alles auf dem richtigen Weg.“ Und nur weil eine Strategie vorgelegt wird, heißt das noch lange nicht, dass sie ambitioniert ist und alle Möglichkeiten ausschöpft. (Was Strategien genau bringen, und wie man sehr uneffektive Strategien aufstellen kann, darüber habe ich schon an anderer Stelle geschrieben.)

Steuerungsmöglichkeiten gibt es übrigens auch auf höherer politischer Ebene: Als die außeruniversitären Organisationen nach 2012 eine steigende Summe an Selbstbewirtschaftungsmitteln aufbauten (was zwar gesetzlich völlig im Rahmen war, aber dem Rechnungshof nicht gefiel), griff der Haushaltsausschuss im Bundestag durch: 2018 verordnete er eine 25%-Sperre auf die Betriebsmittel der Helmholtz-Gemeinschaft. Das war damals ein echtes Erdbeben in der Wissenschaftslandschaft. Die Sperre hat seitdem zu heftigen Mittelverlusten, einigen Nebenwirkungen und viel Verärgerung geführt – aber sie hat auch ein Umdenken bewirkt. Seit 2018 ist klar: Wenn bis Herbst nicht drei Viertel der Mittel verbraucht sind, wird das restliche Viertel gestrichen. Das wirkt!

Das Erschreckende an diesem Vergleich ist: Die Anhäufung von SB-Mitteln (also kein Missbrauch von Geldern, nur schlechte Haushaltsdisziplin) hat ausgereicht, um eine heftige politische Reaktion zu erzeugen. Aber beim Thema „Frauen in der Wissenschaft“, das seit Jahrzehnten in Schieflage hängt, gilt weiterhin das Prinzip der Freiwilligkeit. Liebe Ministerien, lieber Bundestag – warum eigentlich? Sind das also Eure Prioritäten? Haushaltsdisziplin vor Gleichstellung?

Um Veränderungen auch gegen Widerstände durchzusetzen, müsste die Politik also zunächst lernen, härter nachzufragen. Abgestimmter. Besser informiert. Und gleichzeitig darf sie keine Angst haben, die Hebel zu nutzen, die ihr gegeben sind: Verpflichtung zu Anti-Bias-Trainings, Quotierungen, oder auch mal eine Politik der leeren Stühle, wenn wieder keine geeignete Frau gefunden wurde. Ja, in vieler Hinsicht sollte die Wissenschaft ihre Arbeit selbst steuern. Das ist auch richtig so. Aber es gibt Themen, die man ihr nicht alleine überlassen kann.

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